Was bewegt die Schul- und Kitacaterer? Ein Gespräch mit Ralf Blauert, Vorsitzender des Verbands deutscher Schul- und Kitacaterer (VDSKC), wie schwierig es ist, Preiserhöhungen durchzusetzen und was das für kleinere Caterer bedeutet. Seine Vorschläge, was Politiker jetzt tun müssten, um das Projekt Ganztags-Schule 2026 vor dem Chaos zu retten.
Herr Blauert, wo drückt derzeit der Schuh bei den Schulverpflegern?
Ralf Blauert: Eine große Herausforderung war für uns in den vergangenen Monaten das Durchsetzen von Preiserhöhungen. In vielen Kommunen gab es dagegen erheblichen Widerstand. In erster Linie ging es hier um die öffentlich ausgeschriebenen Verträge. Die Träger sahen sich vertraglich nicht verpflichtet, die Preise trotz der hohen Inflation anzupassen.
„Es muss geprüft werden, ob die 'Grenze der Zumutbarkeit nach §313 Abs.1 BGB' für den Essensanbieter überschritten wird.“
Ralf Blauert, 1. Vorsitzende, VDSKC
Wie haben Sie darauf reagiert? Die Vernetzungsstelle Brandenburg hat von einem Rechtsanwaltsbüro prüfen lassen, ob Preisanpassungen im laufenden Vertragsverhältnis aufgrund unvorhergesehener deutlicher Kostensteigerungen – wie durch den Ukraine-Krieg ausgelöst – vereinbart werden können. Auch, ob sich ein Vertrag grundsätzlich anpassen lässt, wenn keine sogenannte Preisgleit- oder Preisanpassungsklausel zwischen beiden Parteien vereinbart wurde.
Wie lautet das Ergebnis der Rechtsanwälte?
Ein Anpassen des Vertrages aufgrund einer sogenannten "Störung der Geschäftsgrundlage nach §313 Abs.1 BGB" ist nur dann möglich, wenn die Parteien im Vertrag "keine Preisänderungsklausel" vereinbart haben. Rund 99 Prozent der Verträge enthalten diese Klausel derzeit nicht. Gleichzeitig hat die Kanzlei klargestellt, dass der Ukraine-Krieg mit seinen wirtschaftlichen Folgen grundsätzlich zu einer Störung der Geschäftsgrundlage führt. Zudem muss regelmäßig geprüft werden, ob die "Grenze der Zumutbarkeit nach §313 Abs.1 BGB" für den Essensanbieter überschritten wird. Dies ist laut Gutachten der Fall, wenn das finanzielle Gesamtergebnis nicht nur den Gewinn aufzehrt, sondern auch zu Verlusten führt. Die Voraussetzungen für Preisanpassungen sind aufgrund der dramatischen wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Krieges also in vielen Fällen erfüllt.
Preisanpassungen - das ist möglich
Sind Preisanpassungen im laufenden Vertragsverhältnis aufgrund unvorhergesehener,massiver Kostensteigerungen möglich? Ausgelöst etwa durch den Ukraine-Krieg. Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen? Die Vernetzungsstelle Brandenburg hat die Dombert Rechtsanwälte in Potsdam beauftragt, diese Sachlage zu prüfen. Auf 13 Seiten legt das Büro detailliert dar, wann Preisanpassungen in Verträgen machbar sind. Die gute Nachricht: Der Träger hat grundsätzlich eine Fürsorgepflicht gegenüber dem Caterer. Droht dieser aufgrund unvorhergesehenerdeutlicher Kostensteigerungen in Schieflage zu geraten, ist die Kommune verpflichtet, die Preise entsprechend anzupassen – sofern keinePreisgleit- oder Preisanpassungsklausel vereinbart wurde. Dazu muss der Caterer seine Kalkulation offenlegen, sprich Preiserhöhungen begründen und belgen.
Das Gutachten gibt es online.
„Der Auftraggeber hat grundsätzlich eine Fürsorgepflicht gegenüber dem Auftragnehmer, also dem Caterer“
Ralf Blauert, 1. Vorsitzende, VDSKC
Hört sich sehr kompliziert an. Was heißt das nun für die Praxis?
Der Auftraggeber hat grundsätzlich eine Fürsorgepflicht gegenüber dem Auftragnehmer, also dem Caterer. Droht dieser aufgrund unvorhergesehener deutlicher Kostensteigerungen aufgrund einer Krise in Schieflage zu geraten, ist die jeweilige
Kommune verpflichtet, die Preise entsprechend anzupassen. Allerdings muss der Essensanbieter dafür seine Kalkulation offenlegen, die klarmacht: So geht es nicht mehr weiter! Preiserhöhungen müssen immer begründet und belegt sein.
Wurde dieses Gutachten vonseiten der Kommunen nicht angezweifelt?
Um hier auf der sicheren Seite zu sein, haben wir das Ergebnis noch einmal von Vergabejuristen in Berlin prüfen lassen. Sie kamen zu dem gleichen Fazit.
Eine gute Botschaft für alle Kita- und Schulcaterer.
Ja, wir sind sehr glücklich darüber. In Brandenburg hat uns dies bei der Argumentation um Preisanpassungen sehr geholfen. Künftig müssen allerdings per se Preisanpassungsklauseln in die Verträge integriert werden, damit es gar nicht mehr zu solchen Diskussionen kommt, die Spielregeln von Anfang an für alle klar sind.
Wie sollten diese Preisanpassungsklauseln konkret aussehen?
Steigt der Verbraucherpreisindex vom Statistischen Bundesamt um mindestens 5 Prozent – ausgehend vom Zeitpunkt des Vertragsabschlusses –, erhöht sich automatisch der im Vertrag fixierte Preis im gleichen prozentualen Verhältnis der Indexänderung, also auch um 5 Prozent. Sobald sich der Index erneut um 5 Prozent seit der letzten Zahlungsanpassung erhöht, wird der Preis erneut prozentual entsprechend angepasst. Dies wäre für uns die ideale Lösung.
Wie entwickeln sich die Abgabepreise bundesweit?
In der Grundschule liegen wir zwischen 4 und 4,80 Euro, in der Oberstufe bei rund 5 Euro. Manche Anbieter rufen sogar Preise über 6 Euro auf. Das ist meines Erachtens nicht mehr vertretbar und viele Eltern können ein solches Essen nicht mehr bezahlen.
„Nötige Investitionen in neue Küchentechnik oder gar Neubauten müssen jetzt warten.“
Ralf Blauert, 1. Vorsitzende, VDSKC
Kommen Sie als Caterer mit den bisherigen Erhöhungen aus? Vorübergehend schon. Dieses Jahr müssen wir allerdings erneut an der Preisschraube drehen, weil die Inflation erst einmal auf hohem Niveau verharren wird. Vieles deutet darauf hin. Wir gehen deshalb davon aus, dass viele Schulcaterer hierzulande im Juli wieder ihre Abgabepreise anpassen müssen. Ein alternativloser Weg, um wirtschaftlich zu überleben.
Die Branche kämpft also weiter mit dem Kostendruck. Welche Folgen hat dies langfristig?
Viele Schul- und Kitaverpfleger halten ihr Geld fest zusammen und legen geplante Projekte erst einmal auf Eis. Nötige Investitionen in neue Küchentechnik oder gar Neubauten müssen jetzt warten. Besonders die kleinen Anbieter leiden unter dem immensen Kostendruck und den Nachwehen der Coronakrise. Die Folge: Immer mehr Anbieter verschwinden vom Markt, die Großen übernehmen zunehmend die Kleinen. Die viel propagierte und notwendige Ernährungswende kann jedoch nur gelingen, wenn wir eine Vielfalt an Anbietern auf dem Markt haben – gerade auf dem Land halten wir dies als Verband für sehr wichtig.
Stichwort Ernährungsstrategie der Bundesregierung. Wurden Sie hier als Verband eingebunden?
Die Mehrheit unserer Mitgliedsunternehmen ist in den lokalen Ernährungsräten ihrer Bundesländer aktiv. Deren Ergebnisse sollen an das Bundesministerium gemeldet werden. Wir haben Cem Özdemir auch persönlich angeschrieben und unsere Expertise angeboten, aber leider keine Reaktion von ihm erhalten. Grundsätzlich begrüßen wir aber die Eckpunkte der im Dezember vorgestellten neuen Ernährungsstrategie. Die Schul- und Kitaverpflegung ist ein wichtiger Schlüssel auf dem Weg hin zu einer nachhaltigen, fairen und sozial gerechten Ernährungswirtschaft.
„Es fehlt an Kraftfahrern, Köchen, Küchenhilfen, Aushilfen und Logistikern.“
Ralf Blauert, 1. Vorsitzende, VDSKC
Wie sieht die Personalsituation bei Ihren Mitgliedsverbänden aus? Sie hat sich verschärft. Momentan sehen wir keine Entspannung am Horizont. Es fehlt an Kraftfahrern, Köchen, Küchenhilfen, Aushilfen und Logistikern. Wir brauchen dringend Einwanderung. Schon seit vielen Jahren fordern wir deshalb ein besseres Einwanderungsgesetz. Dabei geht es nicht nur um hochqualifizierte Fachkräfte, sondern insbesondere um Arbeitskräfte im Niedriglohnbereich. Ob das geplante Fachkräfteeinwanderungsgesetz hier künftig die Branche nachhaltig entlasten kann, bleibt fraglich.
Was fordern Sie darüber hinaus von der Politik? Wir fordern bundesweit eine kostenfreie Verpflegung für Kinder und Jugendliche – und zwar von der Kita bis zum Gymnasium. Es kann nicht sein, dass Schülerinnen und Schüler der Mensa fernbleiben, nur weil sich die Eltern aufgrund der Krise das Essen nicht mehr leisten können.
Was nichts kostet, ist häufig auch nichts wert.
In Berlin, wo das Essen für Grundschüler kostenfrei ist, landet Medienberichten zufolge ein Teil der Mahlzeiten in der Tonne. Wir können den Unmut der Leute verstehen, die sich über zu viele Lebensmittelabfälle in der Gemeinschaftsverpflegung aufregen. Die Mengen sind allerdings seit Einführung des kostenfreien Essens in Berlin nicht signifikant angestiegen, wie es immer wieder behauptet wird. Natürlich kommt es in großen Mensen immer mal wieder zu Resten. Das lässt sich nicht völlig vermeiden. Das Problem liegt aber nicht in einem kostenfreien Essen, sondern im System.
Der Verband deutscher Schul- und Kitacaterer (VDSKC) wurde 2012 in Berlin gegründet und fungiert als Interessenvertretung der Schul- und Kitacaterer gegenüber Politik, Verwaltung und Schulträgern. Derzeit produzieren die Unternehmen des Verbandes etwa 420.000 Mahlzeiten pro Tag und beschäftigen rund 3.800 Mitarbeiter. Den Vorsitz haben Ralf Blauert, Geschäftsführer von BlauArt Catering, und Heiko Höfer, Geschäftsführer von VielfaltMenü. Der Verband fordert einheitliche Qualitätsstandards und ein kostenfreies Schulessen für alle Schulformen. Er setzt sich gleichermaßen für eine gesunde, ausgewogene und nachhaltige Ernährung in Kitas und Schulen ein. Mehr Infos gibt es auf der
Website des Verbandes
„Wir kämpfen zudem mit zu kurzen Pausenzeiten, in denen die Kids häufig lieber gleich auf das Essen verzichten“
Ralf Blauert, 1. Vorsitzende, VDSKC
Was sollte sich im System konkret ändern, damit weniger Speisen(reste) im Müll landen? Wenn etwas in der Tonne landet, hat das viele Gründe: So warten wir immer noch auf die von der Politik versprochene Digitalisierung. Sie ist die Basis, damit ein reibungsloses An- und Abmelden der Kinder für das Essen gelingt und nicht zu viele Essen produziert werden. In Berlin kommt hinzu, dass die Caterer gezwungen sind, eine bestimmte Zahl an Essen zu liefern – egal, ob die Schüler an dem Tag vor Ort sind oder nicht, weil etwa Unterricht ausfällt. Wir kämpfen zudem mit zu kurzen Pausenzeiten, in denen die Kids häufig lieber gleich auf das Essen verzichten, weil sie sich gestresst fühlen. Auch sind die Portionsvorgaben der Deutschen Gesellschaft für Ernährung nicht an die jeweiligen Altersgruppen adäquat angepasst. Es sind viele Hebel, an denen wir drehen können, damit weniger Lebensmittel im Müll landen. Am kostenfreien Essen liegt es jedenfalls nicht. Im Gegenteil, es ist wichtiger denn je. Aufgrund der hohen Inflation kommen heute weniger Schülerinnen und Schüler in die Mensa. In der Oberschule haben sich beispielsweise rund 10 bis 15 Prozent der Mensagänger abgemeldet. Das ist beträchtlich.
Was steht noch auf Ihrer Agenda? Wir benötigen dringend ein bundesweites Förderprogramm für den Kita- und Schulausbau. Ab 2026 werden wir rund eine Million mehr Kinder zu versorgen haben. Ab dann haben Grundschulkinder einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz. Ohne eine adäquate Mittagsversorgung wird das nicht funktionieren. Das heißt im Klartext: Wenn wir jetzt nicht in Küchen und Speisenräume investieren, fällt uns dies in drei Jahren gehörig auf die Füße. Die Leidtragenden sind dann wieder einmal die Kinder.
Ihre große Hoffnung für 2023? Es kann nur besser werden.
Preisanpassungen - das ist möglich
Sind Preisanpassungen im laufenden Vertragsverhältnis aufgrund unvorhergesehener,massiver Kostensteigerungen möglich? Ausgelöst etwa durch den Ukraine-Krieg. Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen? Die Vernetzungsstelle Brandenburg hat die Dombert Rechtsanwälte in Potsdam beauftragt, diese Sachlage zu prüfen. Auf 13 Seiten legt das Büro detailliert dar, wann Preisanpassungen in Verträgen machbar sind. Die gute Nachricht: Der Träger hat grundsätzlich eine Fürsorgepflicht gegenüber dem Caterer. Droht dieser aufgrund unvorhergesehenerdeutlicher Kostensteigerungen in Schieflage zu geraten, ist die Kommune verpflichtet, die Preise entsprechend anzupassen – sofern keinePreisgleit- oder Preisanpassungsklausel vereinbart wurde. Dazu muss der Caterer seine Kalkulation offenlegen, sprich Preiserhöhungen begründen und belgen.
Das Gutachten gibt es online.