Kultiviertes Fleisch und künstliche Intelligenz

Teil 2 des Branchentages der Gemeinschaftsgastronomie nahm kultiviertes Fleisch und künstliche Intelligenz ins Visier.

Nadine Filko, Journalistin der dfv Mediengruppe, Frankfurt am Main, gab Antworten auf Fragen zum Thema "New Meat – die Etablierung einer neuen Esskultur“.
Thomas Fedra

"In Zukunft grün" - mit diesem Claim lockte der Branchentag der Gemeinschaftsgastronomie rund 300 Teilnehmer am Messe-Montag der Internorga ins CCH nach Hamburg. Am Horizont zeichnet sich deutlich mehr Nachhaltigkeit ab. Doch nicht nur das: Mit Beginn von Teil Zwei des Programms nach der Mittagspause läutete Claudia Zilz, Chefredaktion gvpraxis, mit einem Blick auf kultiviertes Fleisch und künstliche Intelligenz die Zukunft ein.

Zu Beginn ihres Vortrags warf Nadine Filko, Journalistin der dfv Mediengruppe, Frankfurt am Main, Fragen auf: Wie weit sind wir mit der Entwicklung und wie stellt man zelluläres Fleisch überhaupt her? Mit ihren Antworten lieferte sie Daten und Fakten zum Thema "New Meat – die Etablierung einer neuen Esskultur“. Fleisch aus dem Labor ist vielleicht bald ein überholter Begriff, stellte sie voran. Schließlich gehe es auch um den gesellschaftlichen Wandel, der aktuell von einer jüngeren Generation getragen wird: "Langfristig werden wir sicher nicht auf tierische Proteine verzichten, aber jetzt ist die Zeit zum Innehalten."


Wie entwickelt sich der Markt für alternative Proteine

Als Transformationstreiber nannte sie pflanzenbasierte, fermentierte und nicht zuletzt kultivierte Produkte. Nun seien fermentierte Produkte im Prinzip nicht neu, aber inzwischen hätten Quantensprünge stattgefunden. 

Wie sie einer Studie von Bloom Partners entnahm, hätten bereits 78 Prozent der Konsumenten in Deutschland Zugang zu pflanzenbasierten Produkten. "Von diesen sind 58 Prozent Omnivoren, 24 Prozent Flexitarier", führte die anerkannte Buchautorin an und zitierte aus einer Statista-Umfrage, dass bereits 76 Prozent der Menschen 2021/22 in Deutschland bewusst Fleisch- und Wurstersatzprodukte gekauft hätten. Daraus ließe sich unter anderem folgendes Learning ableiten: "Wir sprechen über diese Produkte als pflanzenbasiert, nicht mehr ausschließlich als vegan. Das baut Vorurteile bestimmter Konsumentengruppen ab."



Marktdurchdringung von plant-based steigt

Entsprechend agierende Firmen würden den Einzelhandel erobern. Sprache spiele dabei eine nicht unwesentliche Rolle. Doch darf man fleischfreies Chicken so nennen? Das bereits eingesetzte Umdenken spiegelte sich unter anderem darin wider, dass am Veganuary 2023 bereits 850 Unternehmen teilgenommen haben. Zu Beginn der jährlichen, fleischfreien Aktion im Januar 2020 waren es gerade 50, 2022 schon 426. 

Die Marktdurchdringung von plant-based steigt. Anfang dieses Jahres bestätigten internationale Chefköche bei einer GEA-Umfrage, dass sich mehr als 60 Prozent von ihnen gut mit Fleisch-Alternativen auskennen.
Die Politik ist gefragt, wenn Deutschland den internationalen Anschluss auf diesem Gebiet nicht verlieren will.
Nadine Filko, Journalistin, dfv Mediengruppe, Frankfurt am Main

Kulturfleisch, also aus Zellen produziertes Fleisch, für das kein Tier geschlachtet werden muss, sei durchaus im Kommen. Firmen wie The Cultivated B haben kürzlich verkündet, dass sie über Bioreaktoren kultiviertes Fleisch zur Marktreife entwickelt haben, das zwischen 3 und 5 Euro kostet. Und so seien an dieser Stelle ebenso Landwirte wie die Politik gefragt, denn es seien zusätzliche Investitionen und politische Entscheidungen erforderlich, wenn Deutschland den internationalen Anschluss auf diesem Gebiet nicht gänzlich verlieren will. Optimal wäre es, wenn es gelänge, zelluläre und konventionelle Landwirtschaft zu verbinden.

Hürden auf diesem Weg seien unter anderen das (Nicht-)Vorhandensein von Bioreaktoren, erforderliche Nährmedien, die Schaffung pharmazeutischer Standards und gesellschaftliche Akzeptanz. "Wie schaffen wir also Orientierung am Markt? Das Wording spielt auch hier eine wichtige Rolle – frei nach dem Motto: Darf pflanzenbasierte Wurst so genannt werden wie das jeweilige, tierische Pendant?"

Künstliche Intelligenz: kein Hexenwerk

Am Ende das Branchentages lief ein Referent nochmal zur Hochform auf: Hendrik Haase, Publizist, Netzwerker und Trendforscher aus Berlin, nahm die Teilnehmenden mit auf eine Reise in die "künstliche kulinarische Intelligenz": "Was passiert, wenn das, was auf dem Teller ist, plötzlich digital stattfindet?" 
Hendrik Haase, Publizist, Netzwerker und Trendforscher aus Berlin, nahm die Teilnehmenden mit auf eine Reise in die "künstliche kulinarische Intelligenz".
Hendrik Haase, Publizist, Netzwerker und Trendforscher aus Berlin, nahm die Teilnehmenden mit auf eine Reise in die "künstliche kulinarische Intelligenz".
Thomas Fedra

Fakt ist: Die digitale Technologie verändert unsere Lebensmittelwelt. Das Thema „Foodporn“, das Fotografieren und ins Netz stellen von allen möglichen Speisen, ist nur ein Teil davon. Die Generation Z holt sich längst Anregung für neue Rezepturen vor allem bei TikTok und anderen Kanälen im World Wide Web. Dabei entstehen riesige Datenmengen. Mittels KI könnten diese nicht nur gespeichert und ausgewertet, sondern als System bereits bei der Produktion und Ernte genutzt werden, zum Beispiel zum automatischen Pflücken von Erdbeeren durch entsprechend programmierte Roboter und trainierte Apps.

Das ganze schließt Nährwertberechnungen und Angaben zur Nachhaltigkeit eines Lebensmittels nicht aus. Im Gegenteil: Es inkludiert zusätzlich die Erkennung, ob ein Schnitzel mit oder ohne Zitrone serviert wird. Selbst Fragen an das persönliche Smartphone, wo man in einer Stadt "etwas Gesundes essen kann", finden ihre entsprechend smarte Antwort. 

KI visualisiert Datenwelten

Mit diesen Erkenntnissen führte der Referent die Gäste weiter in die Welt der Roboter: Die bewähren sich inzwischen nicht nur als Lieferanten, sondern sind auch in Küchen auf dem Vormarsch. Ordering, Zubereitung und Auslieferung werden damit immer schneller.
Roboter lassen sich bereits heute nutzen, um produktiver zu werden! Das ist eine Riesenaufgabe für die GV!
Hendrik Haase, Publizist, Netzwerker, Trendforscher, Berlin

Die Welt der automatisierten Speisenzubereitung würde dann besonders gut funktionieren, wenn sich die Prozesse in einzelne Zutaten aufbrechen lassen. Automaten, die Speisen produzieren, ob Salat oder Pizza, sind bei Startups wie Aitme oder GoodBytz bereits im Einsatz. Spannend dabei ist nicht das Essen an sich, sondern die Software dahinter. Dieses "algorithmische Management" kann stärker als jeder Koch auf Feinheiten eingehen, auf individuelle Wünsche nach Garstufen oder Knusprigkeit - alles lässt sich individuell konfigurieren.

Wie ist nun unser Verhältnis zu diesen Maschinen? Düster oder unkompliziert? Oder nehmen wir den Roboter als produktiven Helfer wahr? Er lässt sich bereits heute nutzen, um produktiver zu werden! Das ist eine Riesenaufgabe für die Branche!

Das Smartphone wird in der personalisierten Ernährung zum Dreh- und Angelpunkt. Mit der entsprechenden App kann es signalisieren, was für einen Menschen gerade gesund ist oder nicht, welche Auswirkungen ein Lebensmittel fürs Klima hat und ob es zu einem passt, wo es gekauft werden kann und wo es herkommt - live & sofort! Die Weichen für personalisierte Ernährung werden in den nächsten fünf Jahren gestellt.

Die Zukunft der Gemeinschaftsverpflegung in Zeiten ökologischen und technischen Wandels bedeutet, digitale Chancen zu nutzen, interne Prozesse zu optimieren, Nachhaltigkeit sichtbar zu machen und damit Zeit für das Wesentliche zu gewinnen. Gerade dabei ließe sich analoges Potenzial heben, um Erlebnisse zu schaffen und Qualität multidimensional, authentisch zu verstehen und glaubhaft zu vermitteln.
Doch Achtung, das gab Haase abschließend allen mit auf den Weg: "Digitale Risiken sind nicht zu unterschätzen - Daten sind sensibel. Und nicht alles, was technisch ist, ist gut!"

Wir erleben derzeit einen digitalen Paradigmenwechsel. Sein Tipp: "Lassen Sie sich von kochenden Robotern weder ablenken noch Angst einjagen, Lernen Sie in Daten zu denken!" In Zeiten von Big Food Data werden selbstlernende Algorithmen zukunftsentscheidend.

Das Moderatoren-Duo Claudia Zilz und gvpraxis-Herausgeber Burkart Schmid ließen Haase nicht von der Bühne, ohne zu versichern: "Das war großes Kino!" Ihr Dank galt allen Referentinnen und Referenten, die das Thema des Tages in seiner ganzen Tiefe und Komplexität dargestellt hatten. 

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