Die Kompensation von Treibhausgasen ist in der Kritik. Experte Dr. Lambert Schneider erklärt, was hinter den Problemen steckt, wie sie gelöst werden können und warum Unternehmen trotzdem Zertifikate kaufen sollten.
GREEN.WORKS: Herr Schneider, jüngst ist eine Welle der Kritik über die Kompensation von Treibhausgasen hereingebrochen – auch zuvor war das Thema schon umstritten. Wie sehr hat die Kritik für Verunsicherung gesorgt?
Dr. Lambert Schneider: Viele Marktakteure sind verunsichert, was die Qualität der Kompensationszertifikate betrifft. Bei den Fachexperten ist schon seit längerem bekannt, dass es bei einer Reihe von Zertifikaten erhebliche Qualitätsprobleme gibt. Das bedeutet zum Beispiel, dass Treibhausgasminderungen bei manchen Klimaschutzprojekten geringer sind als angegeben. Durch Medienberichte haben diese Probleme erhebliche zusätzliche Aufmerksamkeit bekommen.
Wie berechtigt ist die Kritik – und wo ist sie womöglich überzogen?
Unserer Einschätzung nach gibt es bei sehr vielen Projekten erhebliche Qualitätsprobleme. Zum Beispiel kommen viele Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass die Emissionsreduktionen von Projekten zum Stopp der Entwaldung massiv überschätzt werden. Es gibt aber auch Klimaschutzprojekte, die wirklich gut sind. Und manche Projekte sind in bestimmten Bereichen sehr gut und in anderen weniger. Da kommt es auch darauf an, was dem Käufer wichtig ist.
GREEN.WORKS: Die Kritik an der Kompensation ist nicht neu. Gibt es Bemühungen, die Probleme zu beseitigen?
In den vergangenen Jahren sind zahlreiche Initiativen ins Leben gerufen worden, um Lösungen zu finden. Es gibt viele Ratingagenturen, die die Qualität von einzelnen Klimaschutzprojekten bewerten. Es gibt den Integrity Council for the Voluntary Carbon Market, der einen globalen Meta-Standard für Klimaschutzprojekte entwickeln will. Und es gibt unsere Carbon Credit Quality Initiative. Alle verbindet das Ziel, mehr Transparenz und Qualität bei Klimaschutzprojekten zu schaffen.
Diese Aufgabe wollten ja eigentlich Organisationen wie Verra ausfüllen, die als Zertifizierer angeblich für die Qualität von Klimaschutzprojekten garantieren. Doch gerade das scheint ja zum Teil nicht zu funktionieren. Warum?
Es wäre auf jeden Fall deren Verantwortung. Ein Problem ist, dass die Zertifizier in Konkurrenz zueinander stehen: Wenn ich als Zertifizierer etwas weniger stringente Regeln schreibe, dann bekommen die Projektentwickler mehr Zertifikate pro Projekt, womit sie dann mehr Geld verdienen. Das heißt, die Projektentwickler haben einen Anreiz, zu der Organisation zu gehen, wo es sich wirtschaftlich am meisten lohnt. Es wurde uns von verschiedenen dieser Zertifizierer bestätigt, dass das ein Hindernis für strengere Standards ist. Ein weiteres Problem ist, dass die Methoden zur Berechnung der erzielten Emissionsminderungen durch Klimaschutzprojekte sehr komplex sind. Hier werden Schlupflöcher nicht immer sofort erkannt.
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Unter dem Pariser Abkommen verändert sich die Art, wie mit Klimaschutzprojekten umgegangen wird. Schwellen- und Entwicklungsländer haben seither eigene Klimaziele und Minderungen aus Projekten auf ihrem Staatsgebiet werden automatisch der eigenen Bilanz zugeschlagen. Wenn Unternehmen aus Industrieländern nun Zertifikate kaufen und sich die Minderung ebenfalls gutschreiben, haben wir eine Doppelzählung. Was bedeutet das für die Zukunft?
Das ist eine große Debatte. In Europa herrscht die Meinung vor, dass man sich die Minderungen bei uns nur noch gutschreiben darf, wenn sie im Land des Klimaprojektes aus der Bilanz rausgerechnet wird. In den USA wird überwiegend die Meinung vertreten, dass die Emissionen von Unternehmen und Ländern ohnehin auf zwei verschiedenen Ebenen bilanziert werden. Daher sei es kein Problem, wenn die Minderungen zweimal angerechnet würden.
Was ist Ihre Perspektive?
Wir haben das für das Umweltbundesamt untersucht und kommen zu dem Ergebnis, dass die Umweltwirkung sehr auf die jeweilige Konstellation ankommt. In bestimmten Szenarien ist diese Doppelzählung ein Problem und in anderen nicht. Da man aber als Unternehmen wenig Kontrolle darüber hat, in welchem Szenario man sich jeweils befindet, ist es der vorsichtigere Ansatz, wenn man sich eine Bestätigung darüber geben lässt, dass der Herkunftsstaat sich die Minderung nicht selbst anrechnet.
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